Indien: Proteste in Delhi gegen neue Agrargesetze halten trotz Urteil zur Aussetzung an. Ein Gespräch mit Kavitha Kuruganti

Vergangenen Dienstag hat der Oberste Gerichtshof von Indien verfügt, dass die neuen Agrargesetze vorübergehend ausgesetzt werden müssen (jW vom 18.1.). Sie bezeichnen den Tag als einen traurigen für die Demokratie. Warum?

Ein Gericht ist nicht der Ort, wo solche politischen Fragen gelöst werden sollen. Ein großer Teil der Inder, Bäuerinnen und Arbeiter, akzeptiert die politische Richtung nicht, die die Regierung eingeschlagen hat. Diese Leute sind von diesen Agrargesetzen betroffen und sie wollen sie nicht. Aber statt mit den Vertretern der Protestierenden zu verhandeln, flüchtet sich die Regierung dreist zu den Gerichten. Sie argumentiert, die sollten diese Frage klären, und wenn sie sich zugunsten der Gesetze aussprächen, sollten die Proteste aufhören. Das ist lächerlich.

Die Gerichte können nur gewisse, begrenzte Fragen klären. Zum Beispiel, ob die Agrargesetze verfassungsrechtliche Gültigkeit haben oder ob die Zentralregierung im föderalistischen System überhaupt das Recht hat, diese Gesetze zu erlassen. Landwirtschaft fällt in die Zuständigkeit der Bundesstaaten. Aber das ist nicht die zentrale Frage. Es geht um die Auswirkungen der Gesetze auf die Bauern.

Das Gericht hat ein Komitee gebildet, das mit den Bauern über die Gesetze verhandeln soll. Viele der protestierenden Organisationen haben angekündigt, dass sie nicht mit dem Komitee reden werden.

Das finde ich absolut richtig. Da gibt es keine Grautöne. Es gab viele Anträge an das Gericht. Aber in keinem wurde eine solche Vermittlung gefordert. Weder die Bauernorganisationen noch die Regierung haben das Gericht offiziell darum gebeten. Die Personen, die das Gericht für das Komitee vorgeschlagen hat, sind in der indischen Landwirtschaftspolitik kaum bekannt. Außerdem haben sie sich alle bereits zuvor für die Agrargesetze ausgesprochen und die Agrarpolitik der Regierung unterstützt. Wenn das Gericht solche Vermittler auswählt, stellen sich auch Fragen nach seiner Unabhängigkeit.

Bei vielen vorherigen Verhandlungsrunden der Bauernorganisationen mit der Regierung waren Sie dabei. Bis jetzt blieb die Regierung hart. Was sind Ihre Erwartungen?

Unsere Erwartungen bleiben die gleichen, nämlich dass die Regierung die Forderungen der Bauern erfüllt und die Gesetze zurückzieht. Die Bauernorganisationen hoffen bei jedem dieser Gespräche auf das Beste, aber sind auf das Schlimmste vorbereitet.

Der große Slogan ist »gewinnen oder sterben«.

Genau so haben wir das an die Regierung kommuniziert. Sie hat zwei Optionen. Entweder erfüllt sie die Forderungen, oder wir bleiben, und sie wird Gewalt gegen die friedlichen Demonstranten anwenden müssen.

Es gibt keinen Grund, warum die Regierung so unnachgiebig ist und es ausschließt, die Gesetze zurückzuziehen. Sie hat schlicht keine empirischen Beweise, wonach die Bauern mit diesen Gesetzen bessere Einkommen hätten. So kann sie nicht rechtfertigen, warum sie daran festhält. Die Regierung hat den Bauern nichts zu bieten.

Die Proteste laufen jetzt schon seit fast 50 Tagen. Zehntausende sind in Delhi auf der Straße. Wird die Entscheidung des Gerichts die Bewegung schwächen?

Nein, in den kommenden Wochen wird der Protest in Delhi wachsen. Allein aus den Bundesstaaten Punjab, Haryana und Uttar Pradesh werden Tausende von Bauern mobilisiert. Und anderswo auch.

Erstens geht es dabei natürlich darum, was die Bauern konkret erreichen können bezüglich der Forderungen, mit denen sie nach Delhi reisten. Zweitens, und das ist sehr wichtig, haben die Bauernorganisationen, die vorher gespalten waren, gelernt zusammenzuarbeiten. Die Anliegen der Bauern werden in öffentlichen Debatten wieder eingebracht und gehört. Zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik. Und diese Anliegen betreffen in Indien mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Das sind schon sehr gute Ergebnisse dieser Proteste und sie werden die Zukunft der indischen Bauern bestimmen.

Quelle:
https://www.jungewelt.de/artikel/394613.proteste-gegen-indiens-agrargesetze-die-regierung-hat-den-bauern-nichts-zu-bieten.html