Zehntausende Landwirte zogen diese Woche durch Delhi, um gegen eine Agrarreform zu protestieren. Einige stürmten das Rote Fort

Am Tag nach dem Sturm machte das berühmte Wahrzeichen von Delhi seinem Namen alle Ehre. Das Rote Fort war streng bewacht, Polizisten säumten die Mauern und Zufahrtsstraßen. U-Bahn-Stationen waren in der indischen Hauptstadt geschlossen, manche Straßen gesperrt. Die Demonstranten, die noch am Dienstag die Mauern des Forts überwunden hatten, sind wieder weg, die Bauern, die aus Protest gegen Agrarreformen auf ihren Traktoren durch die Straßen zogen, wieder an den Grenzen der Stadt.

Bei den Eskalationen am Dienstag kam mindestens ein Bauer ums Leben, laut Polizei wurden über hundert Polizisten verletzt. Dabei sollte der Dienstag eigentlich ein Feiertag sein. Am „Tag der Republik“ hält Premierminister Narendra Modi traditionell eine Ansprache am Roten Fort. Paraden ziehen durch die Stadt – auch die Bauernproteste waren für den Nachmittag genehmigt. Doch bereits am Vormittag hatten sich zehntausende Bauern auf den Weg in die Stadt gemacht. Einige von ihnen verließen die geplante Route und zogen Richtung Fort, teils mit Schwertern bewaffnet. Die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein. Einige von ihnen schafften es, die Mauern zum Fort zu überwinden und eine Sikh-Flagge zu hissen.

Die Bauerngewerkschaften haben klargestellt, dass es sich nicht um Sikh-Proteste handelte. Auch war es nie der Plan, das Rote Fort zu stürmen, gab ein Gewerkschaftsführer an. „Unidentifizierte Schurken“ hätten die friedlichen Proteste unterwandert. Die Regierung reagierte mit Internetblockaden. Twitter sperrte am Mittwoch rund 300 Konten.

Protestcamps vor den Toren

Der Eskalation ging ein wochenlanger Streik von indischen Bauern vor den Toren der Stadt voraus. Seit November kampieren tausende Landwirte, vor allem aus dem Norden des Landes, an Delhis Stadtgrenzen. Sie protestieren gegen neue Gesetze, die den Agrarmarkt liberalisieren. Größter Kritikpunkt ist, dass die bisher staatlich garantierten Mindestpreise fallen. Während die Regierung argumentiert, dass die Bauern so bessere Preise erzielen können, kritisieren Bauerngewerkschaften, dass genau das Gegenteil der Fall sei. Kleinbauern hätten keine Chance auf faire Preise gegenüber indischen Megafirmen wie Reliance oder Adani.

Agrarreformen seien in Indien zwar bitternötig, darüber sind sich viele Beobachter einig. Aber die Reformen würde die Situation schlimmer machen, so die Kritik. Vor allem habe die Regierung die Agrarreform im Schatten der Corona-Pandemie durchgezogen. Die Gesetze wurden ohne parlamentarische Diskussion oder Gespräche mit den Gewerkschaften erlassen.

Auch in Wien zeigten sich am Dienstag einige Dutzend Menschen vor der Staatsoper solidarisch, vor allem mit jenen Bauern, die in den vergangenen Wochen etwa an Kälte gestorben sind. „No farmers, no food“, stand auf Plakaten der stillen Protestierenden, organisiert von der Österreichischen Sikh-Glaubensgemeinschaft (ÖSG). Teilnehmende mutmaßten zu den Hintergründen der Reform, dass Modi in seiner zweiten Amtszeit noch einen großen Wurf auf den Weg bringen wollte. Das neue Modell sei außerdem um vieles billiger für den Staat.

Soziale Nachhaltigkeit gefragt

Die Landwirte würden nichts Unmögliches fordern, sagte die Teilnehmerin Rupinder Kaur Rai: „Reformen müssen gemeinsam geplant und ausverhandelt werden und nicht in einem Schnellverfahren und ohne Konsultationen durchgebracht werden.“ Sie müssten auch sozial nachhaltig sein. Die indische Diaspora auf der ganzen Welt fühle sich von den Ereignissen betroffen, meint sie. Denn viele haben Familie, die aktuell in Indien Landwirte sind oder deren Vorfahren es noch eine Generation zuvor waren.

Landwirtschaft ist die Lebensgrundlage für über die Hälfte der 1,3 Milliarden Einwohner Indiens. Vor allem die nördlichen Bundesstaaten Punjab, Haryana, Uttar Pradesh oder Rajasthan gelten als Kornkammern des Lands. Die Gewerkschaften der Staaten haben die Gewalt vom Dienstag verurteilt, stehen aber weiter hinter den Protesten. Bis die Regierung die neuen Gesetze zur Gänze zurücknimmt, würde man nicht ablassen, gab ein Vertreter der Gewerkschaft aus Rajasthan an. (Anna Sawerthal, 28.1.2021)

Quelle:
https://www.derstandard.de/story/2000123676079/toter-bei-proteststurm-auf-historisches-wahrzeichen-in-indien